Auf der philippinischen Insel Negros trifft man auf Hinterlassenschaften der ehemaligen Kolonialmacht: Hahnenkämpfe und Zuckerrohrplantagen.
Die Schreie der Kampfhähne sind selbst mitten in der Stadt die ganze Nacht über fast ohne Unterbruch zu hören. Wer tagsüber durch die Quartiere von Dumaguete streift, sieht da und dort stolze, schwarz-rote Gockel in Gärten vor den Häusern posieren. Und wer die Insel Negros, so gross wie die beiden grössten Kantone Graubünden und Bern zusammen, durchquert oder die Flanken der Vulkanberge hochfährt, entdeckt entlang der Strassen grosse Zuchtfarmen für die Kampfvögel. Und kleine Bauernhöfe mit nur gerade einem der wertvollen und krächzenden Exemplare, das angekettet im Garten sitzt.
Sonntags pilgern die Besitzer mit dem Federvieh unter dem Arm in die Arenen. Ein solcher Cockpit, so heissen die Hahnenkampfplätze, ist auf der philippinischen Insel leichter zu finden als ein Fussballstadion. Fussball interessiert hier kaum jemanden.
Umso fanatischer sind die Männer bei den Hahnenkämpfen dabei. Wer sich in der 130’000-Einwohner-Stadt Dumaguete den Eintritt von umgerechnet 1.40 bis 1.60 Franken in die Arena nicht leisten kann, verfolgt grosse Wettbewerbe vor dem Fernseher in einer Kneipe. Gewettet wird hier wie dort – mit teils hohen Einsätzen. Wie das Wetten allerdings funktioniert, kann der ausländische Besucher nicht nachvollziehen. Und zum Erklären haben die Einheimischen keine Zeit.
Etwa 400 Männer aller Altersklassen sitzen an diesem Sonntag im Cockpit in Dumaguete. Ein Kampf dauert oft nur ein paar Sekunden – die Tiere verletzen sich gegenseitig vor allem mit dem rasierklingenscharfen Dorn, der an einem Fuss befestigt ist. Fürs Feiern eines Sieges bleibt kaum Zeit, im Publikum fahren die Männer ihre Gewinne ein oder bezahlen die Schulden. Im Ring trägt der siegreiche Züchter sein Tier weg – und erhält den unterlegenen Güggel fürs Nachtessen gleich hinterhergeliefert. Einer fegt die Federn weg, die die Tiere gelassen haben im brutalen Kampf.
Die Insel Negros gilt als eines der Zentren für Hahnenkämpfe auf den Philippinen. Reiseanbieter führen das blutige und von Tierschützern geächtete Spektakel nicht im Ausflugsprogramm. Wer es dennoch besuchen will, findet leicht Zugang: Auf den Strassen wird Werbung dafür gemacht. Heimische Reiseführer helfen manchmal weiter. Einer erzählt auf einem Ausflug in einem Naturreservat, er habe das Hobby aufgeben müssen. Die Tiere müssten immer zur gleichen Tageszeit gefüttert werden, ansonsten würde sich ihr Kampfverhalten ins Negative verändern. Als Reiseleiter sei er jedoch unregelmässig zu Hause.
Strände mit braunem Sand
Touristen sind auf Negros im Gegensatz zu anderen philippinischen Inseln noch nicht viele unterwegs – bis vor wenigen Jahren liessen sich einzig Rucksackreisende auf dieses Abenteuer ein. Nun ist eine touristische Infrastruktur im Entstehen, die sich vor allem auf die Städte Dumaguete und Bacolod sowie die Badeorte mit Tauchmöglichkeiten im Süden konzentrieren. Der Sand an den Stränden ist allerdings nicht strahlend weiss, sondern braun. Die Insel beherbergt aktive Vulkane. Ihre Hitze wird zum Teil zur Stromerzeugung genutzt.
Dass der Tourismus erst in den Anfängen steckt, machen sich Anbieter und Organisationen zunutze. Der deutsche Reiseveranstalter Erlebe-Fernreisen.de kann dabei voll auf das Credo eines verantwortungsvollen Reisens setzen. Authentische Erlebnisse und Begegnungen mit Einheimischen stehen im Zentrum des Programms, das der Gast über Bausteine selber zusammensetzt. Dabei kann der Reiseveranstalter auf das Know-how von Travel Authentic Philippines zurückgreifen. Die Gründer um die Philippinin Vianne Tumala wollen Touristen mehr bieten als nur Badeferien in Strandresorts. Die Programmpalette ist breit und reicht von Ausflügen in die Natur bis zum Wohnen bei der Gastfamilie von Juanita Terremocha auf Negros’ kleiner Nachbarinsel Siquijor. Juanita und ihr Mann sind bekannte Heiler und wohnen mitten im Wald. «Wir wollen Einheimische und Touristen zusammenbringen», sagt Tumala. Touristen sollen die Lebensart auf Negros und das Handwerk der Leute kennen lernen, Einheimische dagegen sollen einen Verdienst mit den Feriengästen erzielen können. Erlebe-Fernreisen.de unterstützt zudem ein Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das nachhaltigen Tourismus auf den Philippinen fördert – zusammen mit der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft.

Hahnenkämpfe sind auf den Philippinen äusserst populär. Sie finden sowohl auf den Strassen wie auch in Stadien statt. Bild: Mike Alquinto
Die angespannte politische Situation auf den Philippinen könnte diese touristische Entwicklung allerdings gefährden. Zum einen regiert Präsident Rodrigo Duterte seit einem Jahr mit harter Hand das Land und steht in einem umstrittenen Kampf gegen die Drogenkriminalität: Tausende sind dabei bisher erschossen worden – ohne Gerichtsverhandlung und Urteil. Zum anderen breitet sich die islamistische Terrorgruppe Abu Sayyaf immer mehr aus. So warnt das Eidgenössische Departement des Äussern (EDA) seit kurzem vor Reisen nach Cebu, einer Insel, die nur wenige Kilometer von Negros entfernt liegt.
Selbst in der touristischen Hochsaison von März bis Juni trifft der Reisende auf Negros nur auf wenige andere Touristen. Der Ausflug von Dumaguete hinauf zu Twin Lakes ist ein Trip in die Abgeschiedenheit – ein paar Einheimische aus der nahen Stadt, darunter der Leibwächter eines kommunalen Politikers, verbringen den Sonntag in kühler Höhe. An den beiden Seen, die durch aufbäumende Vulkane entstanden sind, wohnen Einheimische; seit kurzem betreiben sie ein Restaurant und rudern die Gäste mit Holzbooten über den einen See. Irgendwo am Ufer ruht sich eine riesige Eidechse aus, in den Bäumen tummeln sich Vögel – im Naturreservat soll es gegen 260 verschiedene Arten geben, darunter endemische. Reiseführer Jay Senagan, selber ein leidenschaftlicher Vogelbeobachter, weist den Gast zum Beispiel auf die Gelbbrust-Fruchttaube oder den Blaukopf-Fächerschwanz hin. Der Tourist sieht aber – wenn er Glück hat – gerade mal ein schwarzes Vögelchen.
In La Libertad, ebenfalls an der Ostküste der Insel, in Negros Oriental, kann man Frauen des lokalen Frauenverbands besuchen, die ein altes Handwerk am Leben erhalten. Sie weben aus Pandanblättern kleine Boxen und Schächtelchen, die sie in Souvenirshops im ganzen Land verkaufen können. Wer will, darf ein Handytäschchen selber herstellen. Im touristisch noch kaum entwickelten Städtchen hat die Gemeinde selber die Initiative ergriffen und ein kleines Resort direkt am Meer erstellt. Der 32-jährige Bürgermeister Emmanuel Laurence Iway sagt, dass Bar, Restaurant und Pool von der Kommune finanziert und mit lokalen Baumaterialien erstellt worden seien. Aber das Geld für die Gästebungalows habe gefehlt. So seien Investoren eingesprungen, die bei den Übernachtungen mit 25 Prozent am Umsatz beteiligt seien. Im Gespräch erkundigt sich der Bürgermeister nebenbei, wie teuer die Stimmen bei Wahlen in der Schweiz seien.
Das Land der süssen Leute
Auf der Westseite der Insel, die Negros Occidental heisst, fährt man kilometerweit durch Zuckerrohrfelder. Die Region heisst denn auch «The Land of Sweet People». Lastwagen, hoch beladen mit der süssen Fracht, tuckern über die Strassen und zweigen ab zu Fabriken. Auf dem alten, überdeckten und sehenswerten Markt von Bacolod, mit einer halben Million Einwohnern grösste Stadt der Insel, kann man sich dann mit Mascobado eindecken – einem braunen, noch nicht raffinierten Zucker. Hier gilt er als der Zucker des armen Mannes, im Westen wird er dagegen in Reformhäusern als gesundes Süssungsmittel verkauft.
Auf Negros wird 60 Prozent des Zuckers des ganzen Landes produziert, ein Drittel der Landfläche der Insel ist mit Plantagen bedeckt. Viele Leben hängen von der harten Arbeit ab: 300’000 Menschen schuften auf den Feldern und schneiden von Hand die harten Gewächse. Ihr Verdienst reicht kaum zum Überleben. Die Betreiber dagegen häufen auch heute noch Reichtümer an. Womit sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet.
Einige der alten, im Kolonialstil erbauten Villen von Plantagebesitzern sind unterdessen Museen – zu verdanken ist dies auch dem touristischen Aufschwung. Zum Beispiel die Residenz Balay Negrense von Don Victor Gaston y Fernandez in der Stadt Silay, 15 Kilometer entfernt von Bacolod. Die Familie gehört zu den Pionieren der Zuckerindustrie auf der Insel und liess das imposante Haus 1897 erbauen. Die vier Meter hohen Räume und die Fenster sind so raffiniert erstellt, dass das Haus auch in der heissesten Zeit schön kühl bleibt. In der Ausstellung lässt sich die Geschichte der Familie nachvollziehen.
Zuckerrohr ist wie das Christentum und die Hahnenkämpfe mit den Spaniern auf die Philippinen gekommen. «Wir führen immer noch Hahnenkämpfe durch und besuchen den Gottesdienst», sagt einer der wettenden Männer in der Arena in Dumaguete zwischen zwei Kämpfen. In Spanien sei das eine heute verboten, und das andere werde kaum oder gar nicht mehr praktiziert. «Was haben die nur für ein Leben dort?»
Die Reise wurde unterstützt von Erlebe-Fernreisen.de
This article was published in Der Bund, July 1917, by Thomas Zemp